Die wilde Ines

16 Mai 2025

Wir müssen weiter, denn Ines – ein Sturmtief, das in den nächsten Tagen über das Ionische Meer hinwegziehen soll – sitzt uns im Nacken. Wir legen früh ab und runden mit Kap Tenaro den südlichsten Punkt des kontinentalen Griechenlands. Anschließend macht der Wind ein wenig Zicken.

Eigentlich wollen wir gemütlich mit halbem Wind die Westseite der Mani-Halbinsel entlang Richtung Norden segeln, allerdings ist der Wind so unbeständig, dass zwischen 3 Knoten und 38 Knoten alles dabei ist. Gemütlich geht anders.

Nun ja, wenigstens ist die Landschaft schön. Wir segeln oder motoren – je nach Wind – an beeindruckenden Steilklippen und grünen Hügeln vorbei. Hatte ich schon erwähnt, wie schön Griechenland im Frühjahr ist?!

Nach knapp sechs Stunden erreichen wir unsere anvisierte Bucht. Pünktlich zum Ankermanöver pfeift es dort mit 25 Knoten. Prima, so lieben wir das! 🙄 Zumindest hält der Anker gleich beim ersten Versuch, und ich schaffe es später sogar noch, mit dem Dinghy an Land zu fahren, um Wasser und Brot zu besorgen.

Am nächsten Morgen hat der Wind nochmal zugelegt, und er pfeift uns jetzt mit Böen bis zu 35 Knoten um den Bug. Wir geben nochmal 20 Meter Kette, bauen unser Bimini ab und harren der Dinge, die da kommen.

Ines zieht direkt über uns hinweg, und ein Blick auf die Vorhersage zeigt, dass der Wind dadurch im Laufe des Nachmittags von Ost auf West dreht, da der Wind gegen den Uhrzeigersinn in das Tief hinein weht. Egal, wie wir es drehen und wenden – wir können hier nicht bleiben, da die Bucht nach Westen hin offen ist.

Auch der Blick aus dem Cockpit macht auch keine Hoffnung: Innerhalb einer Stunde ist der Himmel voller gelblich sandgeschwängerten Wolken – Sand, den Ines aus der Sahara mitgebracht hat und der nun den Himmel wie in einem Endzeitfilm von Roland Emmerich verdunkelt.

Wir gehen Anker auf und lassen uns mit der Genua aus der ca. 1,5 sm tiefen Bucht ziehen. Bis auf die Sicht und die etwas gespenstische Stimmung ist es besser als erwartet. Doch als wir den Ausgang der Bucht erreichen, rollen 3–4 Meter hohe Wellen von Süden an und krachen als laute Brandung an die Steilküste an Steuerbord.

Eleanor wird von der ersten Welle erfasst und wie von einer unsichtbaren Hand angehoben. Wir gehen auf Kurs – dafür müssen wir erst einmal halsen. Anschließend fahren wir vor dem Wind mit 120° bis 160° Windwinkel Richtung Koroni.

Ziemlich schnell wird klar, dass unser Autopilot mit dem vorwindlichen Kurs in Kombination mit der starken, diffusen Welle nicht zurechtkommt. Tobi übernimmt und steuert per Hand.

Ich sitze achtern und beobachte, wie sich die Wassermassen in gleichmäßigem Rhythmus hinter Eleanor auftürmen und im nächsten Moment ihr Heck anheben. Diese Dynamik – im Zusammenspiel mit der düsteren Atmosphäre – schlägt aufs Gemüt: Brain Fog und vermutlich auch ein bisschen Seekrankheit.

Die ersten 1,5 Stunden reden wir nicht viel, jede*r ist versunken in die Bewegung des Schiffs und in die eigenen Gedanken. Jetzt nur nicht das Kopfkino starten.

Die Sicht wird immer schlechter, und wenn wir uns umschauen, können wir weder das Land sehen, von dem wir gekommen sind, noch das, zu dem wir hinsegeln – obwohl zwischen beiden Küsten nur ca. 25 Seemeilen liegen.

Als wir uns langsam etwas eingegroovt haben, hellt sich die Stimmung auf. Wir quatschen, trinken Kaffee und snacken Müsliriegel.

Etwa fünf Seemeilen vor unserem Ziel können wir immer noch keine Küste ausmachen, doch wir hören ein leises, brummendes Geräusch in der Ferne. Vielleicht ein Fischerboot? Oder ein anderes Schiff?

Ich gehe auf Ausguck, kann aber nichts erkennen. Das Geräusch wird lauter – und klingt nun eher wie ein rauschendes Donnern. Wir sind noch ca. 1,5 Seemeilen von der Küste entfernt, als sich aus dem Dunst die Festung von Koroni abzeichnet. Bald wird klar: Das Donnern kommt von der Brandung, die hier mit voller Wucht an die Küste knallt.

Als hinter dem Wellenbrecher unser Anker fällt und wir geschützt in der Bucht von Koroni liegen, entfährt uns beiden ein tiefer Seufzer der Erleichterung – What a ride!

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